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A review by muyelinh
Narziß und Goldmund by Hermann Hesse
adventurous
challenging
reflective
slow-paced
- Plot- or character-driven? Character
- Strong character development? It's complicated
- Loveable characters? No
- Diverse cast of characters? Yes
- Flaws of characters a main focus? Yes
2.5
Hesses Roman setzt mit großer sprachlicher Schönheit ein. So urteilt zumindest Thomas Mann, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Godfather of Nebensatzungetüme am ersten Satz dieses Buches, welcher sich über 18 Zeilen und eine halbe Seite erstreckt, seine helle Freunde gefunden haben wird. Für alle, die man mit derartigen Konstruktionen jagen kann, sei gesagt: Dies bleibt das einzige Experiment dieser Ausformung im Werk, im Großen und Ganzen ist der Stil Hesses verständlich, wenngleich hin und wieder durchaus altertümelnd, diese 320 Seiten können sich unter Umständen sehr lang anfühlen.
Aber worum geht es eigentlich? Um einen Antagonismus - den Geistesmenschen und Denker Narziß sowie den Gefühlsmenschen Goldmund. Die Hauptfiguren treffen im Kloster aufeinander und freunden sich an, eingebettet in eine zunächst vordergründige Harmonie, die das Konfliktpotenzial nicht freilegt. Der Autor entscheidet in gottgleicher Manier: Ihr beide seid jetzt Freunde. Wie bei vielem anderen auch fehlen mir hier Hintergründe, glaubhafte Erklärungen. Wie viel Pfeffer hätte der Einstieg in diesen Roman gehabt, wären die Protagonisten keine Freunde gewesen, sondern Feinde!
Nach sechs Kapiteln ändert sich die Szenerie grundlegend. Der Leser verfolgt nun nur noch den Weg von Goldmund. Ein unsteter Weg in wilder Umgebung. Jannis Niewöhner, der in der Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 2020 den Goldmund spielt, beschreibt den Inhalt als "Roadmovie im Mittelalter". Mittelalter ist hierbei nicht ganz richtig, denn an einer Stelle im Roman wird die Schlacht von Pavia erwähnt, welche 1525 stattfand, wir befinden uns also bereits in der Frühen Neuzeit. Und auch der Begriff "Roadmovie" mag die Stimmung der Erzählung aufgreifen, berücksichtigt aber nicht das Streben des Protagonisten nach dem künstlerischen Schaffen und den amourösen Abenteuern mit dem weiblichen Geschlecht. Ich bevorzuge daher die romantisch vorgeprägte Bezeichnung "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders".
Aus Plotsicht ist in diesen Passagen kaum noch etwas zu holen. Goldmund liebt eine Frau nach der nächsten, bis es mir zum Halse raushängt. Alle Frauen fahren total auf ihn ab, denn "es war diese Kindlichkeit, dies Offenstehen, diese neugierige Unschuld der Begierde, diese vollkommene Bereitschaft zu allem, was eine Frau irgend von ihm begehren mochte" (S. 104). Ist klar. Das ist eine reine Männerfantasie eines offenbar selbst ziemlich erfolglosen Liebhabers.
Hier noch eine kleine Kostprobe der gesammelten Kringeligkeiten, die mit diesem Liebesverständnis einhergehen: "Lene, hast du schon einmal im Herbst in einem Walde den dicken Pilz gesehen, den die Schnecken so gerne mögen und den man essen kann? [...] Gerade so braun wie er ist dein Haar, Lene. Es riecht auch so gut. Wollen wir noch eins singen? Oder hast du etwa Hunger? In meinem Ranzen ist noch etwas Gutes." (S. 213)
Wer redet, mein Gott, wer *flirtet* so?? Und das ist wirklich nur die Spitze des Eisbergs, solcherlei Ansprachen werden immer abstruser.
Ich hatte gehofft, wenn schon nicht durch die Geschichte selbst unterhalten zu werden, dann zumindest etwas mitnehmen zu können aus dem Buch, welches von vielen als geradezu persönlichkeitsbildend empfunden wird. Stefan Ruzowitzky, der Regisseur des oben genannten Films, gibt an, er sei von "diesem Menschen, der sich zur Kunst bekennt und rausgeht in die Welt" beeindruckt gewesen, als er den Roman mit 15-16 Jahren gelesen habe. Ich denke, hier liegt die Krux für mich selbst. Ich identifiziere mich, ohne seine geistige Brillanz für mich reklamieren zu wollen, deutlich mehr mit dem Geistesmenschen Narziß, für den die Sicherheit der Klostermauern und die Beschäftigung mit den Büchern wichtige Konstanten sind, als mit dem ungebundenen Goldmund. Leider kommt Narziß aber in großen Teilen des Werkes nicht vor. Andere mögen sich daher exzeptionell wiederfinden in diesen Zeilen, ich leider nicht.
Ich begann also zu Verzweifeln, während ich mich in dieser Geschichte voranwälzte, bis ich doch endlich auf einen Gedanken stieß, der mich einnahm:
"Eines aber wurde ihm bei dieser Gedankenübung klar, nämlich warum so viele tadellose und gutgemachte Kunstwerke ihm ganz und gar nicht gefielen, sondern trotz einer gewissen Schönheit ihm langweilig und beinah verhaßt waren. [...] Sie waren so schwer enttäuschend, weil sie das Verlangen nach Höchstem erweckten und es doch nicht erfüllten, weil ihnen die Hauptsache fehlte: das Geheimnis." (S. 188).
Hat der Autor hier gerade sein Buch beschrieben? Das klingt vielleicht erstmal gehässig, aber Hermann Hesse durchaus zutrauen, dass er sich der Ambivalenz seiner Geschichte für die gesamte Leserschaft durchaus bewusst war und diese Worte nicht zufällig benutzt hat. Und ehrlich gesagt beeindruckt mich genau das: den Leser zu verstehen und ernstzunehmen, ohne sich ihm anzubiedern auf Kosten der eigenen Agenda.
Ausdrücklich loben möchte ich außerdem die Darstellung des Todes.
"Die ganze Gegend, das ganze weite Land stand unter einer Wolke von Tod, unter einem Schleier von Grauen, Angst und Seelenverfinsterung, und das Schlimmste waren nicht die ausgestorbenen Häuser, die an der Kette verhungerten und verwesenden Hofhunde, die unbegraben liegenden Toten, die bettelnden Kinder, die Massengräber vor den Städten. Das Schlimmste waren die Lebenden, die unter der Last von Schrecken jnd Todesangst ihre Augen und ihre Seelen verloren zu haben schienen." (S. 223 f.)
Schöner hat niemand über den Tod geschrieben, seit Andreas Gryphius die Zeile "daß auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen" aufs Papier bannte. Wer also an einer Poesie des Todes interessiert ist, sollte unbedingt einmal zu Hesse greifen.
Der letzte Teil müsste mich wieder mehr abholen, und die Gespräche der wiedervereinigten Freunde, insbesondere über die Theodizee und dir Handhabung des Betens, sind interessant, ich hätte es allerdings nicht ertragen, wenn diese sich durchs gesamte Buch gezogen hätten.
Insgesamt hat mich das Werk leider über weite Strecken nicht abgeholt. Anderen mag das wiederum ganz anders gehen.
Aber worum geht es eigentlich? Um einen Antagonismus - den Geistesmenschen und Denker Narziß sowie den Gefühlsmenschen Goldmund. Die Hauptfiguren treffen im Kloster aufeinander und freunden sich an, eingebettet in eine zunächst vordergründige Harmonie, die das Konfliktpotenzial nicht freilegt. Der Autor entscheidet in gottgleicher Manier: Ihr beide seid jetzt Freunde. Wie bei vielem anderen auch fehlen mir hier Hintergründe, glaubhafte Erklärungen. Wie viel Pfeffer hätte der Einstieg in diesen Roman gehabt, wären die Protagonisten keine Freunde gewesen, sondern Feinde!
Nach sechs Kapiteln ändert sich die Szenerie grundlegend. Der Leser verfolgt nun nur noch den Weg von Goldmund. Ein unsteter Weg in wilder Umgebung. Jannis Niewöhner, der in der Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 2020 den Goldmund spielt, beschreibt den Inhalt als "Roadmovie im Mittelalter". Mittelalter ist hierbei nicht ganz richtig, denn an einer Stelle im Roman wird die Schlacht von Pavia erwähnt, welche 1525 stattfand, wir befinden uns also bereits in der Frühen Neuzeit. Und auch der Begriff "Roadmovie" mag die Stimmung der Erzählung aufgreifen, berücksichtigt aber nicht das Streben des Protagonisten nach dem künstlerischen Schaffen und den amourösen Abenteuern mit dem weiblichen Geschlecht. Ich bevorzuge daher die romantisch vorgeprägte Bezeichnung "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders".
Aus Plotsicht ist in diesen Passagen kaum noch etwas zu holen. Goldmund liebt eine Frau nach der nächsten, bis es mir zum Halse raushängt. Alle Frauen fahren total auf ihn ab, denn "es war diese Kindlichkeit, dies Offenstehen, diese neugierige Unschuld der Begierde, diese vollkommene Bereitschaft zu allem, was eine Frau irgend von ihm begehren mochte" (S. 104). Ist klar. Das ist eine reine Männerfantasie eines offenbar selbst ziemlich erfolglosen Liebhabers.
Hier noch eine kleine Kostprobe der gesammelten Kringeligkeiten, die mit diesem Liebesverständnis einhergehen: "Lene, hast du schon einmal im Herbst in einem Walde den dicken Pilz gesehen, den die Schnecken so gerne mögen und den man essen kann? [...] Gerade so braun wie er ist dein Haar, Lene. Es riecht auch so gut. Wollen wir noch eins singen? Oder hast du etwa Hunger? In meinem Ranzen ist noch etwas Gutes." (S. 213)
Wer redet, mein Gott, wer *flirtet* so?? Und das ist wirklich nur die Spitze des Eisbergs, solcherlei Ansprachen werden immer abstruser.
Ich hatte gehofft, wenn schon nicht durch die Geschichte selbst unterhalten zu werden, dann zumindest etwas mitnehmen zu können aus dem Buch, welches von vielen als geradezu persönlichkeitsbildend empfunden wird. Stefan Ruzowitzky, der Regisseur des oben genannten Films, gibt an, er sei von "diesem Menschen, der sich zur Kunst bekennt und rausgeht in die Welt" beeindruckt gewesen, als er den Roman mit 15-16 Jahren gelesen habe. Ich denke, hier liegt die Krux für mich selbst. Ich identifiziere mich, ohne seine geistige Brillanz für mich reklamieren zu wollen, deutlich mehr mit dem Geistesmenschen Narziß, für den die Sicherheit der Klostermauern und die Beschäftigung mit den Büchern wichtige Konstanten sind, als mit dem ungebundenen Goldmund. Leider kommt Narziß aber in großen Teilen des Werkes nicht vor. Andere mögen sich daher exzeptionell wiederfinden in diesen Zeilen, ich leider nicht.
Ich begann also zu Verzweifeln, während ich mich in dieser Geschichte voranwälzte, bis ich doch endlich auf einen Gedanken stieß, der mich einnahm:
"Eines aber wurde ihm bei dieser Gedankenübung klar, nämlich warum so viele tadellose und gutgemachte Kunstwerke ihm ganz und gar nicht gefielen, sondern trotz einer gewissen Schönheit ihm langweilig und beinah verhaßt waren. [...] Sie waren so schwer enttäuschend, weil sie das Verlangen nach Höchstem erweckten und es doch nicht erfüllten, weil ihnen die Hauptsache fehlte: das Geheimnis." (S. 188).
Hat der Autor hier gerade sein Buch beschrieben? Das klingt vielleicht erstmal gehässig, aber Hermann Hesse durchaus zutrauen, dass er sich der Ambivalenz seiner Geschichte für die gesamte Leserschaft durchaus bewusst war und diese Worte nicht zufällig benutzt hat. Und ehrlich gesagt beeindruckt mich genau das: den Leser zu verstehen und ernstzunehmen, ohne sich ihm anzubiedern auf Kosten der eigenen Agenda.
Ausdrücklich loben möchte ich außerdem die Darstellung des Todes.
"Die ganze Gegend, das ganze weite Land stand unter einer Wolke von Tod, unter einem Schleier von Grauen, Angst und Seelenverfinsterung, und das Schlimmste waren nicht die ausgestorbenen Häuser, die an der Kette verhungerten und verwesenden Hofhunde, die unbegraben liegenden Toten, die bettelnden Kinder, die Massengräber vor den Städten. Das Schlimmste waren die Lebenden, die unter der Last von Schrecken jnd Todesangst ihre Augen und ihre Seelen verloren zu haben schienen." (S. 223 f.)
Schöner hat niemand über den Tod geschrieben, seit Andreas Gryphius die Zeile "daß auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen" aufs Papier bannte. Wer also an einer Poesie des Todes interessiert ist, sollte unbedingt einmal zu Hesse greifen.
Der letzte Teil müsste mich wieder mehr abholen, und die Gespräche der wiedervereinigten Freunde, insbesondere über die Theodizee und dir Handhabung des Betens, sind interessant, ich hätte es allerdings nicht ertragen, wenn diese sich durchs gesamte Buch gezogen hätten.
Insgesamt hat mich das Werk leider über weite Strecken nicht abgeholt. Anderen mag das wiederum ganz anders gehen.