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A review by imaginary_space
Stiefkinder der Republik by Angelika Censebrunn-Benz
challenging
dark
emotional
informative
sad
medium-paced
5.0
Ein wichtiges und schwer zu verdauendes Buch. Vielen Dank an den Herder-Verlag für die Bereitstellung eines digitalen Rezensionsexemplares.
Die Aufarbeitung relevanter Teile der DDR-Geschichte in Deutschland lässt zu wünschen übrig, und so ist es auch mit dem Heimsystem. Doch gerade hier haben wir die Chance, noch etwas zu tun, denn die betroffenen Menschen leben noch, jeden Tag, mit dem, was ihnen angetan wurde.
Trotz dass ich bereits über Hintergrundwissen verfügte, war dieses Buch sehr informativ und macht einen guten Job, das Ausmaß und die langfristigen Auswirkungen auf persönlicher Ebene zu verdeutlichen. Besonders gelungen finde ich die Vorgehensweise, persönliche Berichte und nüchterne Informationen als Paare auftreten zu lassen. So wird ein Erfahrungsbericht eingeordnet mit einer kurzen Geschichte der konkreten beschriebenen Institution und weiteren Kontext-Fakten, was die persönlichen Geschichten für uns als Leser:innen greifbarer und verständlicher, und damit noch schwerer zu verdauen, macht.
Die Autorin gibt den Betroffenen Raum für ihre Erlebnisse, angenehm neutral, ohne sie zu heldenhaften Opfern oder traumatisierten (Mit-)Täter:innen zu machen. Sie ordnet ein, wertet aber nicht und bleibt immer empathisch.
Das Heimsystem in der DDR war nicht auf Bildung oder Erziehung ausgerichtet, nicht einmal auf Vorbereitung aufs Erwachsenenleben. Die Kinder und Jugendlichen wurden als Zwangsarbeiter:innen für gefährliche Tätigkeiten verwendet und hatten sich einem gefängnisartigen Drill unterzuordnen, der eine Person nur komplett unvorbereitet auf ein eigenständiges Leben lassen kann. Missbrauch durch Heimarbeiter:innen und Mithäftlinge war an der Tagesordnung. Ob ein Kind ins Heim gekommen war, weil es von den Eltern vernachlässigt wurde, weil es auffällig geworden war oder weil die Eltern politisch nicht passten, war dabei egal. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit wurden sie vor die Tür gesetzt und später wurde der einzige Abschluss, den sie im Heim erlangen konnten, von der BRD noch nicht einmal anerkannt.
Die wenigen Berichte von Heimarbeiter:innen, die sich tatsächlich für die Jugendlichen interessierten und aufgrund dessen entweder versetzt wurden oder den Job wechselten, weil sie die Zustände selbst nicht aushielten, verdeutlichen nur den Gedanken, der mir nach dem Lesen des Buches noch am längsten im Kopf blieb: Dieses System wurde von sehr vielen Menschen gestützt. Nicht nur Parteikadern, die auf einer abstrakten Ebene Entscheidungen trafen und nie ein Heim von innen gesehen hatten, sondern auch denjenigen, die tagtäglich in diesen Heimen arbeiteten, Kinder und Jugendliche missbrauchten und so gegeneinander ausspielten, sodass Solidarität kaum möglich war. Dazu braucht es einen ganz besonderen Schlag Mensch und eine gehörige Portion Menschenverachtung. Und es funktioniert immer wieder, in jedem System.
Kaum einer dieser Menschen wurde je für seine Taten zur Rechenschaft gezogen.
Die Aufarbeitung relevanter Teile der DDR-Geschichte in Deutschland lässt zu wünschen übrig, und so ist es auch mit dem Heimsystem. Doch gerade hier haben wir die Chance, noch etwas zu tun, denn die betroffenen Menschen leben noch, jeden Tag, mit dem, was ihnen angetan wurde.
Trotz dass ich bereits über Hintergrundwissen verfügte, war dieses Buch sehr informativ und macht einen guten Job, das Ausmaß und die langfristigen Auswirkungen auf persönlicher Ebene zu verdeutlichen. Besonders gelungen finde ich die Vorgehensweise, persönliche Berichte und nüchterne Informationen als Paare auftreten zu lassen. So wird ein Erfahrungsbericht eingeordnet mit einer kurzen Geschichte der konkreten beschriebenen Institution und weiteren Kontext-Fakten, was die persönlichen Geschichten für uns als Leser:innen greifbarer und verständlicher, und damit noch schwerer zu verdauen, macht.
Die Autorin gibt den Betroffenen Raum für ihre Erlebnisse, angenehm neutral, ohne sie zu heldenhaften Opfern oder traumatisierten (Mit-)Täter:innen zu machen. Sie ordnet ein, wertet aber nicht und bleibt immer empathisch.
Das Heimsystem in der DDR war nicht auf Bildung oder Erziehung ausgerichtet, nicht einmal auf Vorbereitung aufs Erwachsenenleben. Die Kinder und Jugendlichen wurden als Zwangsarbeiter:innen für gefährliche Tätigkeiten verwendet und hatten sich einem gefängnisartigen Drill unterzuordnen, der eine Person nur komplett unvorbereitet auf ein eigenständiges Leben lassen kann. Missbrauch durch Heimarbeiter:innen und Mithäftlinge war an der Tagesordnung. Ob ein Kind ins Heim gekommen war, weil es von den Eltern vernachlässigt wurde, weil es auffällig geworden war oder weil die Eltern politisch nicht passten, war dabei egal. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit wurden sie vor die Tür gesetzt und später wurde der einzige Abschluss, den sie im Heim erlangen konnten, von der BRD noch nicht einmal anerkannt.
Die wenigen Berichte von Heimarbeiter:innen, die sich tatsächlich für die Jugendlichen interessierten und aufgrund dessen entweder versetzt wurden oder den Job wechselten, weil sie die Zustände selbst nicht aushielten, verdeutlichen nur den Gedanken, der mir nach dem Lesen des Buches noch am längsten im Kopf blieb: Dieses System wurde von sehr vielen Menschen gestützt. Nicht nur Parteikadern, die auf einer abstrakten Ebene Entscheidungen trafen und nie ein Heim von innen gesehen hatten, sondern auch denjenigen, die tagtäglich in diesen Heimen arbeiteten, Kinder und Jugendliche missbrauchten und so gegeneinander ausspielten, sodass Solidarität kaum möglich war. Dazu braucht es einen ganz besonderen Schlag Mensch und eine gehörige Portion Menschenverachtung. Und es funktioniert immer wieder, in jedem System.
Kaum einer dieser Menschen wurde je für seine Taten zur Rechenschaft gezogen.
Graphic: Bullying, Child abuse, Confinement, Physical abuse, Torture, Forced institutionalization, Suicide attempt, and Abandonment
Moderate: Emotional abuse, Mental illness, Panic attacks/disorders, Pedophilia, Rape, Sexual assault, Sexual violence, Suicide, Violence, and Medical trauma
Minor: Alcoholism, Domestic abuse, Drug abuse, Drug use, Self harm, and Alcohol