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A review by beaconatnight
Die Spätantike: Der eine Gott und die vielen Herrscher by Rene Pfeilschifter
5.0
Die Spätantike wird häufig als wenig bedeutsame Fußnote glorreicher Zeiten oder gar als Epoche von Verfall und Dekadenz wahrgenommen. Rene Pfeilschifters Die Spätantike zeigt, warum es sich ganz im Gegenteil um einen Wendepunkt handelt, der vielen späteren Entwicklungen ihre Richtung vorgibt.
Den übergreifenden Erzählrahmen hin zum Ende der Antike und zum Beginn des Mittelalters bildet die sich im stetigen Wandel befindliche Idee vom Römischen Reich und dem Imperium. Natürlich wurde das Selbstverständnis nicht zuletzt durch massive Territorialverluste erschüttert. Die Gründe und Ursachen dieser Entwicklung sind ein wichtiges Thema. Zentral ist aber insbesondere auch die Christianisierung und die damit einhergehenden Veränderungen.
Wie der Untertitel – Der eine Gott und die vielen Herrscher – nahelegt, folgte auf die Zeit der Soldatenkaiser eine Phase, in der zumeist mehrere Augusti zugleich das Reich regiert haben. Hinzu kommt, dass Barbarenstämme immer offensiver und erfolgreicher ins Reich einfallen. Nach militärischen Erolgen erheben deren Herrscher Anspruch auf Gebiete und politische Einflussnahme. Für mich faszinierend dabei war, dass die Idee vom Reich hiermit nicht in Frage gestellt wurde. Rom galt allen als ewig, wenn es auch über die Jahrhunderte als politische Einheit kaum noch wiederzuerkennen war.
An dieser Stelle kann ich vielleicht einschieben: Ich habe ein relativ starkes Vorurteil gegenüber deutschsprachiger Geschichtsliteratur. Meiner Erfahrung nach geben nicht wenige dieser Werke übermäßig detaillierte und vor allem pur faktische Darstellungen historischer Gegebenheiten. Was Geschichte für den Laien lesenswert und erinnerungswürdig macht – Spekulationen über Motivationen und Motive, theoriegeleitete Erklärungsversuche oder gar kulturwissenschaftliche Narrative – sucht man zum Teil völlig vergebens. Leider sieht man den Büchern von außen nicht immer an, ob sie primär für ein Fachpublikum geschrieben sind – und das ist von Verlagen vermutlich durchaus beabsichtigt.
Die Spätantike ist völlig anders. Ich war beeindruckt, wie umfassend und doch befriedigend detailliert die Epoche in kaum mehr als 250 Seiten vorgestellt wird. Das ausdrückliche Ziel dabei ist ein systematisches Verständnis dieser Zeit zu vermitteln. Dazu wird die Zoomstufe häufig etwas zurückgedreht, um so einen besseren Blick vom größeren Ganzen zu bekommen. Pfeilschifter selbst erklärt Omissionen an einer Stelle so: "Hektisch jagten sich die Ereignisse, Meinungen wie Lage änderten sich von Tag zu Tag, schwierig zu erzählen und im Grunde auch gar nicht wert zu erzählen."
Andersherum gibt es Ereignisse, die so wichtig (und unterhaltsam) sind, dass sie mit eingehendem Blick auf Individuen erzählt werden. Das Vorwort bietet ein sehr gutes Beispiel. Darin geht es um einen Krieg mit den Persern sehr weit am Ende der Spätantike. Unterbezahlte römische Soldaten haben die Waffen niedergelegt, ohne offen zu meutern. Als Vermittler wird vom Kaiser nun ein syrischer Bischof berufen, der sie an ihre römische Geschichte und Tugenden erinnert.
Nicht gerade ein Kernereignis der römischen Geschichte, und gerade deshalb ein wunderbar origineller Einstieg. Meinem Eindruck nach gelingt es dem Autor hier sehr gut, den realen Einfluss der Idee vom Römischen Reich aufzuzeigen. Eine Vorstellung, die trotz der fundamentalen Entwicklungen der früheren Jahre – die Themen der darauffolgenden Kapitel – fortbesteht, bis es dann plötzlich zu einem Bruch mit der Tradition kommt. Pfeilschrifter argumentiert, dass es hier und deshalb zum Übergang zum Mittelalter kommt.
Die schillerndsten Persönlichkeiten dieser Zeit – Diokletian, Konstantin, Justinian und Herakleios – werden soweit vorgestellt, das man zumindest eine solide Ahnung von ihnen und ihren Erfolgen und Misserfolgen, Tugenden und Schwächen bekommt. Interessant ist dabei immer auch ihre persönliche Haltung zur Religion und wie diese ihr politisches Wirken beeinflusste. Darüber hinaus wird deutlich, wie bedeutsame Nicht-Römer – unter ihnen Attila, Theoderich und Chlodwig – die Geschichte des Reiches in neue Bahnen lenken.
Die Ursprünge des Christentums waren für mich außer Zweifel der interessanteste Aspekt dieser Zeit. Um ehrlich zu sein wusste ich nichts von den verschiedenen Glaubensrichtungen oder den ökumenischen Konzilien, aus denen sie hervorgingen. Völlig neu war mir somit, dass die mit den theologischen Meinungsverschiedenheiten verbundenen Feindseligkeiten schon so weit am Anfang standen und nicht erst mit der Reformation begonnen haben. Wie wenig man doch manchmal weiß.
Hier finden sich auch die Anfänge von Institutionen, die das Mittelalter unter anderem so spannend machen. Christliche Tugenden wie Demut vor Gott oder Barmherzigkeit leiten (zumindest vorgeblich) das Handeln von Kaisern. Bischöfe werden so etwas wie die de facto Vertreter von Städten. Es entwickelt sich eine Lebensweise der bewussten Askese, aus der sich das spätere Mönchstum ausbildet. Heidentum und Paganismus werden zur Ketzerei, Tempel und rituelle Opfer verschwinden aus den Städten.
Die späteren Kapitel zeigen auf sehr nachvollziehbare Weise auf, aus welchen Gründen der römische Einfluss schwindet und wie sich die neuen politischen Einheiten vor allem der Westgoten, Ostgoten, Franken herausbilden. Natürlich geschah Roms Niedergang nicht über Nacht. Dennoch ist es ziemlich spannend zu lesen, wie graduell so etwas wie Byzanz zu dem wird, wie man es später kennt. Natürlich ahnt man, dass diese Dinge häufig weitaus komplexer sind – nicht zuletzt, weil innere Angelegenheiten der Feinde zumeist gar nicht zur Sprache kommen –, aber dennoch weiß man sie zumindest geographisch und historisch zu verorten.
Die Spätantike ist eine Form von Geschichtsschreibung, bei der die dargestellten Ereignisse mit kultur-historisch bedeutsamen Entwicklungen verstrickt werden. Besser kann man solchen Stoff nicht aufarbeiten.
Den übergreifenden Erzählrahmen hin zum Ende der Antike und zum Beginn des Mittelalters bildet die sich im stetigen Wandel befindliche Idee vom Römischen Reich und dem Imperium. Natürlich wurde das Selbstverständnis nicht zuletzt durch massive Territorialverluste erschüttert. Die Gründe und Ursachen dieser Entwicklung sind ein wichtiges Thema. Zentral ist aber insbesondere auch die Christianisierung und die damit einhergehenden Veränderungen.
Wie der Untertitel – Der eine Gott und die vielen Herrscher – nahelegt, folgte auf die Zeit der Soldatenkaiser eine Phase, in der zumeist mehrere Augusti zugleich das Reich regiert haben. Hinzu kommt, dass Barbarenstämme immer offensiver und erfolgreicher ins Reich einfallen. Nach militärischen Erolgen erheben deren Herrscher Anspruch auf Gebiete und politische Einflussnahme. Für mich faszinierend dabei war, dass die Idee vom Reich hiermit nicht in Frage gestellt wurde. Rom galt allen als ewig, wenn es auch über die Jahrhunderte als politische Einheit kaum noch wiederzuerkennen war.
An dieser Stelle kann ich vielleicht einschieben: Ich habe ein relativ starkes Vorurteil gegenüber deutschsprachiger Geschichtsliteratur. Meiner Erfahrung nach geben nicht wenige dieser Werke übermäßig detaillierte und vor allem pur faktische Darstellungen historischer Gegebenheiten. Was Geschichte für den Laien lesenswert und erinnerungswürdig macht – Spekulationen über Motivationen und Motive, theoriegeleitete Erklärungsversuche oder gar kulturwissenschaftliche Narrative – sucht man zum Teil völlig vergebens. Leider sieht man den Büchern von außen nicht immer an, ob sie primär für ein Fachpublikum geschrieben sind – und das ist von Verlagen vermutlich durchaus beabsichtigt.
Die Spätantike ist völlig anders. Ich war beeindruckt, wie umfassend und doch befriedigend detailliert die Epoche in kaum mehr als 250 Seiten vorgestellt wird. Das ausdrückliche Ziel dabei ist ein systematisches Verständnis dieser Zeit zu vermitteln. Dazu wird die Zoomstufe häufig etwas zurückgedreht, um so einen besseren Blick vom größeren Ganzen zu bekommen. Pfeilschifter selbst erklärt Omissionen an einer Stelle so: "Hektisch jagten sich die Ereignisse, Meinungen wie Lage änderten sich von Tag zu Tag, schwierig zu erzählen und im Grunde auch gar nicht wert zu erzählen."
Andersherum gibt es Ereignisse, die so wichtig (und unterhaltsam) sind, dass sie mit eingehendem Blick auf Individuen erzählt werden. Das Vorwort bietet ein sehr gutes Beispiel. Darin geht es um einen Krieg mit den Persern sehr weit am Ende der Spätantike. Unterbezahlte römische Soldaten haben die Waffen niedergelegt, ohne offen zu meutern. Als Vermittler wird vom Kaiser nun ein syrischer Bischof berufen, der sie an ihre römische Geschichte und Tugenden erinnert.
Nicht gerade ein Kernereignis der römischen Geschichte, und gerade deshalb ein wunderbar origineller Einstieg. Meinem Eindruck nach gelingt es dem Autor hier sehr gut, den realen Einfluss der Idee vom Römischen Reich aufzuzeigen. Eine Vorstellung, die trotz der fundamentalen Entwicklungen der früheren Jahre – die Themen der darauffolgenden Kapitel – fortbesteht, bis es dann plötzlich zu einem Bruch mit der Tradition kommt. Pfeilschrifter argumentiert, dass es hier und deshalb zum Übergang zum Mittelalter kommt.
Die schillerndsten Persönlichkeiten dieser Zeit – Diokletian, Konstantin, Justinian und Herakleios – werden soweit vorgestellt, das man zumindest eine solide Ahnung von ihnen und ihren Erfolgen und Misserfolgen, Tugenden und Schwächen bekommt. Interessant ist dabei immer auch ihre persönliche Haltung zur Religion und wie diese ihr politisches Wirken beeinflusste. Darüber hinaus wird deutlich, wie bedeutsame Nicht-Römer – unter ihnen Attila, Theoderich und Chlodwig – die Geschichte des Reiches in neue Bahnen lenken.
Die Ursprünge des Christentums waren für mich außer Zweifel der interessanteste Aspekt dieser Zeit. Um ehrlich zu sein wusste ich nichts von den verschiedenen Glaubensrichtungen oder den ökumenischen Konzilien, aus denen sie hervorgingen. Völlig neu war mir somit, dass die mit den theologischen Meinungsverschiedenheiten verbundenen Feindseligkeiten schon so weit am Anfang standen und nicht erst mit der Reformation begonnen haben. Wie wenig man doch manchmal weiß.
Hier finden sich auch die Anfänge von Institutionen, die das Mittelalter unter anderem so spannend machen. Christliche Tugenden wie Demut vor Gott oder Barmherzigkeit leiten (zumindest vorgeblich) das Handeln von Kaisern. Bischöfe werden so etwas wie die de facto Vertreter von Städten. Es entwickelt sich eine Lebensweise der bewussten Askese, aus der sich das spätere Mönchstum ausbildet. Heidentum und Paganismus werden zur Ketzerei, Tempel und rituelle Opfer verschwinden aus den Städten.
Die späteren Kapitel zeigen auf sehr nachvollziehbare Weise auf, aus welchen Gründen der römische Einfluss schwindet und wie sich die neuen politischen Einheiten vor allem der Westgoten, Ostgoten, Franken herausbilden. Natürlich geschah Roms Niedergang nicht über Nacht. Dennoch ist es ziemlich spannend zu lesen, wie graduell so etwas wie Byzanz zu dem wird, wie man es später kennt. Natürlich ahnt man, dass diese Dinge häufig weitaus komplexer sind – nicht zuletzt, weil innere Angelegenheiten der Feinde zumeist gar nicht zur Sprache kommen –, aber dennoch weiß man sie zumindest geographisch und historisch zu verorten.
Die Spätantike ist eine Form von Geschichtsschreibung, bei der die dargestellten Ereignisse mit kultur-historisch bedeutsamen Entwicklungen verstrickt werden. Besser kann man solchen Stoff nicht aufarbeiten.