A review by sbbarnes
Schwarzes Gold aus Warnemünde by Harald Martenstein

2.0

Sehr gemischte Gefühle. Da waren ein Paar interessante Ideen, aber die wurden einfach nicht in irgendwas Bedeutsames umgesetzt. Idee: Was wäre wenn die DDR, statt die Mauer zu öffnen, Unmengen Öl an der Ostsee gefunden hätte und zum reichsten Land der Welt geworden wäre? Eine kleine Geschichte vereinzelter Aspekte dieses Landes, erzählt durch die Artikel der beiden Journalisten Martenstein, ein Westdeutscher, und Peuckert, einem Ostdeutschen. Zwischen den Artikeln wird die Lebensgeschichte der beiden Journalisten und die Geschichte ihrer Freundschaft sukzessive angedeutet.

Probleme: Fangen wir beim Kleinvieh an. Die Beziehung Martenstein-Peuckert gibt sehr wenig her. Mir ist ihre Freundschaft sehr egal, wie auch die ständige Andeutung dass der eine oder andere für die Stasi arbeitet bzw Informationen über den anderen preisgibt. Auch der "Twist" dass sie es irgendwie beide taten und auch das Martenstein vieles auslies ist wirklich kein Twist sondern spektakulär unspannend, weil ich ohnehin nicht ansatzweise den Eindruck hatte, zu verstehen, was diese Charaktere bewegt, den Journalismus zu betreiben, den sie betrieben, und auch kein Überblick über ihre jeweiligen Leben hatte. Auch waren die Artikel der beiden so identisch geschrieben dass es gerade zu Anfang oft schwer war, sie überhaupt auseinanderzuhalten. Die "Artikel" waren dann eher eine Anhäufung an unglaubwürdigen (selbst für fiktionale Begebenheiten) Ereignissen die unglaublich persönlich erzählt wurden - für den Kolumnenstil von Martenstein durchaus bekannt, für einen weniger etablierten Journalisten, den er hier wiedergibt, eher nicht.

Problem 2: Die verfälschte Geschichte. Ist ja eigentlich eine coole Idee, was wäre wenn die DDR reich geworden wäre. Leider macht Martenstein nichts damit. Wie schon oft gesagt: Von Satire allein kann ein Werk nicht leben, das macht es einfach unerträglich. Hier erfolgt einfach eine aberwitzige Aufzählung an heutzutage bekannten Politikern und Künstlern, die bei einer solchen DDR andere Karrieren durchlaufen. Doch wie das die Welt im allgemeinen beeinflusst wird nicht wirklich thematisiert. Auch nicht die Gesellschaft im Allgemeinen - wir lernen nichts über das Schulsystem, über die Rentenkasse, über Gesundheitsvorsorge. Nur: die DDR ist reich, und der Westen irgendwie nicht. Deswegen behandelt die DDR den Westen so, wie der Westen früher die DDR. Das ist ziemlich ziemlich platt gehalten. Warum hielt die gute Wirtschaft im Westen nicht auch ohne Öl an? Auch ist rein historisch ziemlich unglaubwürdig dass die Sowjetunion aufgelöst wird, die DDR aber bestehen bleibt.

Problem 3: Sexismus. Witzig, nicht wahr, dass nur die männlichen Politiker ihre Karrieren in Martensteins Vorstellung behalten. Guttenberg macht nach seinem Doktorskandal richtig Karriere in der DDR; Gysi und Schröder sind auch in der Politik vertreten. Und was ist mit den Frauen? Nun ja, von der Leyen ist wohl im Westen Kanzlerin, wird abfällig im Beisatz vermerkt. Wagenknecht ist nach einem "Verrat" an die Partei zur Yogalehrerin geworden, in der zwar ihr politisches und philosophisches Wissen noch erwähnt werden, aber leider auch andauernd, wie attraktiv Martenstein sie findet. Merkel verschwindet gänzlich weil sie sich nicht entschließen kann, einer Bewegung beizutreten vor der Wende. Sie interessiere sich nur für Joghurt. Ansonsten treten nur zwei weitere Frauen in dem Buch auf - Kati Witt, die alle Männer zerstört, die ihr begegnen, und eine mutmaßlich erfundene Prostituierte. Dafür wird jedes Amt von Männern bekleidet. Die machen dann auch Witzchen über die Frauenquote - im Westen gibt's das ja, im Osten bräuchte man das nicht. Das soll glaube ich zeigen, dass der Osten so heuchlerisch wäre, die Werte der Gleichberechtigung aufzugeben sobald Geld im Spiel ist. Aber das schließt sich nunmal nahtlos an Problem #2 an: eigentlich müsste es rein historisch andersrum sein. Im Osten sind doch bis heute flächendeckender Kita- und Kindergartenplätze und Arbeitsplätze für Mütter, sowohl allein- als auch mit Gatte/Gattin erziehend, vorhanden. Doch statt zu thematisieren, wie so etwas die Gesellschaft beeinflusst, schreibt Martenstein lieber darüber, dass die Ostfrauen viel besser im Bett seien weil sie mal in Fabriken gearbeitet hätten. Ich hatte den Eindruck, Martenstein versucht hier einen Punkt über Macht und Sexismus zu machen - nämlich dass ein hinreichend reiches System automatisch zum Sexismus tendiere - aber es scheitert daran dass seine eigenen Darstellungen ebenfalls recht sexistisch sind. Siehe Wagenknecht.

Problem #4: Man hat den Eindruck, Martenstein hat das Ganze nur zu seiner eigenen Belustigung geschrieben. Schön, freut mich für ihn, aber man hat da wenig von wenn man jede dritte Ost-figur teilweise googeln muss um auseinanderzuhalten über wen er gerade clevere Witze machen will und welche Figuren rein erfunden sind. Ich glaube, dieses Buch ist nur genießbar, wenn man ein Mann im Alter Martensteins ist, der sich so vage für Politik und Gesellschaft interessiert, aber nicht so wirklich für Geschichte und die Konstruktion davon, und der außerdem die gleichen politischen Einstellungen hat wie Martenstein. Eigentlich glaube ich, dieses Buch ist nur für Martenstein genießbar, will ich damit sagen. Es ist nur sehr ärgerlich zu lesen, weil die Idee so viel besser umgesetzt werden könnte, wenn man ein wirkliches Ideengespinst damit aufbauen wollte und nicht einfach leere, bittere Satire.